Mein Kampf zurück an die Spitze 2023 (Teil 4): Küstenmarathon Otterndorf 17.09.2023

Absagen und zu Hause bleiben?

Es ist 19:30 Uhr.

Ich sitze gerade alleine an unserem Tresen in der Küche.

Morgen wäre mein Halbmarathon.

Wettkampftag!

Und ich habe gar keine Lust mehr auf Laufen!

Das Training der letzten 2 Wochen lief schleppend, um es beschönigend auszudrücken.

Viel lieber investierte ich jede freie Minute und meine gesamte Energie in ein anderes Projekt, für welches ich im Moment so sehr brenne.

Die Zeiten beim Laufen waren dementsprechend schlecht…

Kein Wunder schließlich sind meine Kraftreserven irgendwann aufgebraucht.

Trotzdem war ich frustriert, schließlich war mein ursprüngliches Ziel mithilfe des Coachings eine Zeit von 1 Stunde 45 Minuten zu laufen.

Gestrichen, schaffe ich niemals!

Nachdem ich das Coaching abgebrochen hatte, weil ich mich verschlechtert, statt verbessert habe, war mein Ziel den Halbmarathon in weniger als 2 Stunden zu laufen …

Auch gestrichen!

Glaube ich nicht dran, nach dem Lauf in Buxtehude …

Also warum dort antreten?

Normalerweise durchläuft mich den Abend vorm Wettkampf immer ein freudiges kribbeln.

Ich bin unendlich aufgeregt und voller Vorfreude auf das was kommt.

Heute merke ich nichts davon.

Ich fühle mich abgestumpft, es fühlt sich an wie ein „to do“ auf meiner Liste, welches einfach nur abgehakt werden will.

Die Startgebühr ist bezahlt, es wäre schade um das Geld.

Vielleicht wird es ja gar nicht so schlecht.

So oder so ähnlich versuche ich mich zu motivieren.

Wettkampftag!

Ich stehe rechtzeitig auf, esse gut, trinke viel, ziehe mir meine Laufkleidung an und sitze punkt 8 Uhr abfahrbereit im Auto.

Es ist unglaublich nebelig, ich kann lediglich den Fußweg am Straßenrand erkennen. Alles dahinter verschwindet im grau in grau des Nebels und spiegelt meine Stimmung hervorragend wieder.

Ich bin völlig emotionslos. Keinerlei Aufregung oder Motivation die 21 Kilometer heute zu laufen.

Scheiß auf die Zeit!

Bewusst habe ich meine Laufuhr zu Hause gelassen.

Mein neues Ziel, das Feeling vor Ort genießen, spaß haben, den Lauf beenden, die Zeit ist egal.

Ich habe Bock!!!

Langsam werde ich gepackt.

Immer mehr Sportler kreuzen meinen Weg. Ihre Aufregung und Motivation färben auf mich ab und ich spüre ein nervöses kribbeln in meinem Bauch.

Die Begeisterung aller anwesenden ist so ansteckend.

Lächelnd erinnere ich mich, dass es genau das ist, was ich an solchen Veranstaltungen so liebe.

Das kann nicht sein!!!

Ich traue meinen Augen kaum…

Ich blinzle und schaue noch ein zweites Mal hin,

aber ich habe richtig gesehen…

Ein fettes Grinsen breitet sich auf meinem Gesicht aus, bevor ich ungläubig einen meiner Liebsten Laufkumpels in die Arme schließe.

Falsch Gedacht…

Nach dem Altstadtlauf in Buxtehude spielte Heino mit dem Gedanken seine 10 Kilometer Zeit in Otterndorf nochmal anzugreifen und zu verbessern.

Er meinte, das er mir innerhalb der nächsten 3 Tage Bescheid geben will, ob er sich anmeldet oder nicht.

Das hat er nicht getan.

Da ich viel zu tun hatte, fragte ich nicht nochmal nach, sondern nahm an das er wohl nicht mitlaufen würde.

 

Auch wenn wir nicht zusammen liefen, da wir zu unterschiedlichen Zeiten starten, freute ich mich riesig, dass wir uns gegenseitig anfeuern konnten.

Aufgeregt tippel ich von einem Fuß auf den anderen.

Die Luft ist noch frisch und ich habe eine leichte Gänsehaut auf meinen nackten Armen.

Perfektes Laufwetter!

Die zahlreichen Läufer die sich an der Startlinie versammeln, sowie das aufgeregte Publikum verstärken meine Nervosität und steigern sie ins unermessliche…

Vor mir steht eine Gruppe Männer mittleren Alters.

Sie sind braun gebrannt, vermutlich von ihren zahlreichen, langen Laufeinheiten. Zumindest lassen ihre durchtrainierten Beine und der „Ultra“ Aufdruck auf ihren Shirts darauf schließen.

(Ultraläufe sind alle Distanzen die nach den 42 Kilometern = Marathondistanz kommen)

Sie unterhalten sich entspannt über alles Mögliche, was mich ein wenig beruhigt.

Für sie scheint es etwas total normales zu sein.

Dann geht es los

Schnell finde ich meinen Rhythmus, orientiere mich an der Ultra Gruppe. Ihr stetiges gebrabbel beruhigt mich.

Immer wieder werde ich von schnelleren Läufern überholt, lasse mich davon allerdings nicht beeinflussen.

Ich Laufe MEIN Tempo.

Wie soll ich das schaffen?!

Oh je erst 2 Kilometer…!

Als mir ein Schild am Wegesrand anzeigt, das 2 Kilometer geschafft sind, hätte ich heulen können.

Gefühlt war ich schon viel länger unterwegs und ich fragte mich einen kurzen Moment ob ich die 21 Kilometer überhaupt schaffen würde.

Schnell verdrängte ich den Gedanken. Auch meine schwerer werdenden Beine ignorierte ich.

Stattdessen lenkte ich meinen Fokus auf die Strecke, die sehr vielseitig war;

Über den Deich, an Kühen vorbei,  am Wasser, sowie die Promenade entlang, ein bisschen Dorf, ein Stückchen Straße und natürlich der Einlauf in die Stadt.

Abgehängt

Die Ultraläufer liefen ein bisschen schneller als ich, sodass ich sie irgendwann nicht mehr sehen konnte.

Bergauf hatte ich zu kämpfen, Bergab nahm ich den Schwung mit, da mich das abbremsen unnötig viel Energie gekostet hätte.

Ein kleiner Erfolg,

da ich auf diese Weise auch mal in den Genuss kam diejenigen zu überholen, die abbremsten um ihr Standarttempo zu halten.

Eine Frau und 2 Männer

liefen jetzt seit geraumer Zeit vor mir. Ihr Tempo war perfekt, sodass ich mich an sie dranhängte. Sie unterhielten sich entspannt.

Etwas was für mich in dem Moment nicht möglich gewesen wäre.

Ich hörte nicht zu, aber das Gebrabbel war angenehm. Außerdem konnte ich mich an ihrem etwas schnelleren Tempo orientieren und wurde praktisch mitgezogen.

„Verzichte auf Runde 2“

Hätte ich gerne gesagt, nachdem ich nach 1 Stunde und 3 Minuten die erste Runde beendet hatte.

Meine Waden brannten, ich Schwitzte und meine Füße wurden bei jedem Schritt schwerer.

Auch meiner derzeitigen Laufgruppe schien es ähnlich zu gehen. Erst bremste einer der Männer ab und ging am Rand weiter. Wenig später bog der zweite zur Seite ab.

Die Frau lief munter weiter. Sie war fit und schnell, sodass ich bald wieder alleine lief.

Kann ich diesen Kampf gewinnen?

Ich kämpfte, konnte kaum noch einen Fuß vor den anderen setzten. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand Blei daran gehängt.

Der Schweiß rann mir in die Augen und brannte fürchterlich. Mit einem Taschentuch wischte ich ihn zum wiederholten Male weg.

Zu allem übel luscherte jetzt auch noch die Sonne zwischen den Wolke hervor und trieb mir direkt noch einen Schwall Schweißperlen auf die Stirn.

Kilometer 16

Nur noch einmal meine Standartjoggingstrecke von zu Hause laufen, denke ich und versuche mich damit zu motivieren, das es nicht mehr weit ist.

Seit geraumer Zeit Laufe ich hinter einer kleinen Dame mit kurzen blonden Haaren her. Sie ist deutlich älter als ich. Schätzungsweise Ende 40 oder vielleicht Mitte 50.

Wir quälen uns beide die letzten Kilometer.

Bin ich so langsam?

Plötzlich taucht hinter mir eine junge Frau, etwa in meinem Alter auf.

Ich erkenne sie direkt wieder.

Am Anfang lief sie etwa auf meiner Höhe, mal hinter mir, mal vor mir.

Allerdings hatte ich sie schon vor der Hälfte weit hinter mir gelassen.

Nun war sie wieder da…

Mein Ehrgeiz war geweckt!

Diese Läuferin wird nicht vor mir ins Ziel kommen!

Ihr schien es ähnlich zu gehen.

In einvernehmlichem Schweigen liefen wir, schwer atmend, nebeneinander her.

Mal hatte sie die Nase vorn, mal ich.

So spornten wir uns gegenseitig an und ließen die kleine Dame zurück, die ihr Tempo beibehielt.

Kilometer 20

Fast geschafft.

Mit einem Mal waren die Schmerzen in Waden, Knien und Oberschenkeln, fast wie weggeblasen.

Ein leichtes ziehen wenn ich versuchte schneller zu Laufen erinnerte mich an die vergangenen Kilometer, daran, was mein Körper bereits geleistet hatte.

Abgehängt

Beim Einlaufen in die Stadt hatte ich meine Konkurrentin mit einigem Vorsprung überholt. Vor mir war jetzt eine kleine Gruppe mit Läufern, die sich durch die letzten Kilometer bissen.

Ich kämpfte mich stetig vor, wollte einen nach dem anderen hinter mir lassen.

Was mir erfolgreich gelang.

Dann sah ich die Streckenabsperrungen,

dahinter die jubelnde und johlende Zuschauermenge, meine Familie, Freunde…

Ich strahlte und wurde durch die Anfeuerungen und die Laute Musik praktisch ins Ziel getragen.

Was für eine tolle Atmosphäre,

was für eine schöne, vielseitige und abwechslungsreiche Strecke

was für eine tolle Organisation und Abwicklung vor Ort.

Ich bin hellauf begeistert!!!

Ich bin stolz auf mich,

 das ich weiter gemacht habe, auch wenn ich zwischendurch immer wieder an den Punkt gekommen bin wo ich gerne ausgestiegen wäre;

weil es weh tat,

weil es anstrengend war,

weil ich glaubte das ich nicht mehr kann.

Trotzdem bin ich weiter gelaufen, bis ins Ziel.

Es ist eine tolle Leistung und ich zolle jedem Teilnehmer, der diese Distanz (oder weiter) gelaufen ist, egal in welcher Zeit, einen wahnsinnigen Respekt.

Mit meiner Zeit bin ich zufrieden.

Zwar habe ich mein ursprüngliches Ziel nicht erreicht:

Ich habe 2 Stunden 9 Minuten gebraucht.

Aber ich habe es wirklich genießen können, hatte spaß und war erfolgreich, einfach weil ich über die Ziellinie gelaufen bin.

OH OH ...

Es war ein wirklich schöner Tag,

von daher ist es kein Wunder, das ich mich direkt für nächstes Jahr wieder angemeldet habe.

Nach dem Halbmarathon habe ich jetzt wieder richtig Lust zu laufen,

mich selbst herauszufordern

und das Feeling vor Ort zu genießen.

Wie liefs bei Heino?

Heino hat alles gegeben um unter 50 Minuten zu laufen…

Er konnte sich seinen Traum dieses Mal leider nicht erfüllen.

Ein Grund mehr nächstes Jahr nochmal anzugreifen!!!

Darum bleibt unser gemeinsames Ziel bestehen, bis wir die 10 Kilometer in weniger als 50 Minuten rennen!

Wir werden alles geben!

kämpfen,

schwitzen 

und feiern

bis wir es geschafft haben !!!

Aufgeben ist keine Option!